19. Mai 2012

DAS MUSEUM DER UNSCHULD

In meinem letzten Blog-Eintrag ging es ums Loslassen, heute geht es ums Sammeln.

Haben Sie vom Museum der Unschuld gehört, das der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk gerade in Istanbul eröffnet hat? Genau, das ist der Titel eines seiner Bücher. Nun auch der Name seines Museums, das Fundstücke und Artefakte der fiktionalen Liebe zeigt, die Pamuk im gleichnamigen Roman erzählt. Sein Held Kemal ist Sprössling der Oberschicht und verliert seine Geliebte Füsun, eine arme Verwandte. Er findet Trost im Sammeln von Dingen, die sie berührt hat oder die durch Erinnerungen mit ihr verknüpft sind: Schminkutensilien, Taschentücher, Eintritts- und Visitenkarten, Streichholzschachteln, Gläser etc.

Seit 2001 schrieb er am Roman und erzählte ihn um die Dinge herum, die er sammelte. 2008 in der Türkei erschienen und auf Deutsch im Jahr 2010, als Istanbul Kulturhauptstadt Europas war. Die Eröffnung des Museums hätte Teil des offiziellen Programms sein sollen. Aber Pamuk löste die Verträge mit der Stadt auf, zahlte die staatlichen Zuwendungen zurück und baute das Haus als unabhängiges Privatmuseum zu Ende. Kein Wunder, denn er war und ist in der Türkei immer noch sehr umstritten. Weil er die menschenverachtende Politik seiner Regierung immer wieder aufs Schärfste kritisierte, wurde er wegen Beleidigung des Türkentums angeklagt. Erst 2006 wurde die Anklage aufgrund einer Gesetzesänderung fallengelassen. Entsprechend geht es in all seinen Romanen genau darum: um „neue Sinnbilder für Streit und Verflechtung,“ wie er selbst sagt.

In seinem Museum hingegen dreht sich alles um die Liebe. Das Museum der Unschuld ist Schlüssel zum gleichnamigen Roman – und der Roman der Schlüssel zum Museum. \“Bis zu meinem Tod werde ich Dinge zu diesem Museum hinzufügen.“ Eine faszinierende Parallelaktion! Dennoch soll das Museum keine Illustration des Romans sein, und der Roman nicht der Katalog zum Museum. Beide sollen ebenso gut für sich existieren können.

„Ist nicht eigentliches Ziel von Roman und Museum, unsere Erinnerungen so aufrichtig wie möglich zu erzählen und dadurch unser Glück in das Glück anderer zu verwandeln?“ fragt Pamuk im Roman.

Was meinen Sie?

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