„GENAU SO WIE WENN ICH EIN BUCH LESE.“
Verrückt, aber wahr: Ausgerechnet in dieser Woche – nachdem ich in meinem letztem Blogeintrag über das Unverhältnis männlicher und weiblicher Lustmorde in der Literatur geschrieben habe, erhalte ich den aktuellen newsletter des transcript-Verlags, in welchem u.a. folgende Neuerscheinung beworben wird: Irina Gradinari – Genre, Gender und Lustmord. Mörderische Geschlechterfantasien in der deutschsprachigen Gegenwartsprosa.
Dazu steht Folgendes:
„Obwohl er in Kriminalpsychiatrie und Kriminologie als analytische Kategorie längst diskreditiert ist, wird der Lustmord in der Literatur am Leben gehalten. Anhand deutschsprachiger zeitgenössischer Prosawerke (u.a. E. Jelinek, T. Hettche, T. Dorn, M. Kleeberg, P. Süskind) zeigt Irina Gradinari, dass das prekäre Thema nicht nur ein attraktives Motiv ist, sondern auch eine narrative Funktion im Text erfüllt – eine konstitutive Wirkung auf Genre und Gender. Der Lustmord legt die grundlegenden gesellschaftlichen und ästhetischen Strukturen, den Umgang mit dem Körper und mit dem Anderen, Fremden in der Gegenwartskultur frei: als potenzierte Gewaltfantasie – und als ästhetisches Motiv.“ Hört sich das nicht interessant an?
Aber mit Lustmord möchte ich diesen Blog nicht enden lassen, sondern Ihnen noch von einer Begegnung berichten, die ich gestern in der S-Bahn hatte.
Ein etwa 30jähriger Mann las hochkonzentriert in einem e-book. Da dieser Anblick immer noch selten ist, habe ich ihn angesprochen und gefragt, ob es Spaß mache, auf diese Weise ein Buch zu lesen. Seine Antwort kam sofort und ganz selbstverständlich: „Was heißt Spaß? Es ist genauso, wie wenn ich ein Buch lese!“
Gerade in diesen Tagen wirbt Amazon für seinen kindle, den neuen eReader. „Lesen wir auf echtem Papier“ steht da.
Lesen wie auf echtem Papier?
Aber bevor ich verstehen kann, wie das wohl gemeint ist, fällt mein Blick auf das abgebildete kindle, auf welchem man KAPITEL EINS eines Buches mit dem Titel Herzstoß lesen kann.
Natürlich will ich wissen, ob dies ein erfundenes Buch ist, quasi nur aus einer einzigen Seite bestehend, eben diese, die hier in der Werbung abgedruckt ist – oder ob sich Amazon diese Werbefläche teuer bezahlen lässt.
Erraten: Letzteres. Herzstoß ist der aktuell erschienene Krimi der Bestsellerautorin Joy Fielding, erschienen bei Goldmann. Die Printausgabe kostet 19,99 Euro. Als download bei Amazon kostet das Buch 15,99 Euro.
Herzstoß handelt von einer Frau, die nicht glaubt, dass ihre Tochter tot ist (hoffentlich kein Lustmord!) und es ist so schlecht geschrieben, dass dies sogar schon auf dieser einen Seite mehr als deutlich wird (Ich zitiere: „… und schwenkte ungeduldig einen smaragdgrünen Schal über seiner stattlichen Gestalt.“ Alles klar?).
Ich will wissen, was Fielding-Fans dazu sagen (auch wenn diese vermutlich nicht so sehr am Sprachstil als an der Handlung interessiert sind). Passenderweise sehe ich entsprechend bei Amazon auf der Seite der Kundenrezensionen nach und bin erstaunt: auch hier in erster Linie negative Rezensionen.
So schreibt eine Melanie: „Als großer Joy Fielding Fan habe ich natürlich jedes ihrer Bücher verschlungen. Herzstoß war wohl das langweiligste Buch, das ich seit langem gelesen habe!“ Und eine Heike notiert: „… und bereue echt, dass ich 20 EUR für die gebundene Ausgabe bezahlt habe.“
Nun ist die Frage, ob ihr Ärger geringer gewesen wäre, hätte sie für die e-book Ausgabe 4 Euro weniger gezahlt. Vermutlich nicht.
Ganz abgesehen davon, dass das e-book natürlich einen weiteren Nachteil hat: man kann es nicht – wie ein Buch – einfach in die Ecke pfeffern, wenn man sich darüber ärgert. Das heißt: können kann man schon, nur…
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