04. Februar 2018

4321

Gestern in der School of Life Berlin: ich leite einen Tagesworkshop Autobiografisches Schreiben. Wir sprechen unter anderem über Paul Austers aktuellsten Roman „4321“, in welchem er auf rund 1300 Seiten das Leben seines Helden Archie Ferguson in vier Variationen erzählt: wie es war und wie es hätte gewesen sein können.

Und wieder zeigt sich die Bedeutung eines Titels: eine Teilnehmerin erzählt, dass sie das Buch deshalb nicht gekauft habe, weil sie den Titel überhaupt nicht ansprechend fand. Und ein anderer Teilnehmer wusste, dass das Buch eigentlich hätte „Ferguson“ heißen sollen, dieser Titel aber kurz vor Erscheinen geändert wurde, weil er zu stark an die Ereignisse in der Stadt Ferguson im Bundesstaat Missouri erinnere, in der 2014 der afroamerikanische Schüler Michael Brown von einem Polizisten erschossen wurde und es nach dem Freispruch des Polizisten in mehr als 170 Städten der USA zu teilweise gewaltsamen Protesten gekommen war.

Der Titel wurde also geändert in „4321“. Man muss ihn sozusagen hinunterzählen: „4 – 3 – 2 – 1“. Drei Archies müssen sterben, damit einer übrig bleiben und sich auf den Weg nach Paris machen kann, um in dieser Stadt zu schreiben, wo bereits einer seiner „Nebengänger“ ein ganz anderes Buch verfasst hat. „4321“ enthält jede Menge autobiografische Bezüge und außerdem Querverweise zu anderen Büchern von Paul Auster, beispielsweise zum Roten Notizbuch, einer Kurzgeschichtensammlung, in der das Thema Zufall eine wichtige Rolle spielt.

Und so kommt es mir ebenso magisch wie selbstverständlich vor, als ich gestern Abend im Anschluss an das Seminar mit FreundInnen im I Due Forni sitze – dieser hallenartigen „Punkpizzeria“ mit beschmierten Graffitiwänden und ziemlich guter Pizza – und ich plötzlich sehe, dass irgendjemand auf die Wand direkt neben mir die Ziffern „432 Hz“ hingekritzelt hat.

Der natürliche Kammerton 432 Hz ist die Tonfrequenz, die auf unseren Körper harmonisierend wirkt, die unsere Gehirnhälften synchronisieren und einen gesunden Zellstoffwechsel fördern kann. Musik in dieser Frequenz, wie beispielsweise von Verdi, aber auch bestimmte Klangschalen oder meditative Musik, wirkt beruhigend und ausgleichend. So habe ich seit gestern Abend eine weitere mögliche Interpretation von Paul Austers Titel 4321, denn in ihm schwingt auch diese harmonisierende Frequenz als eine Art Grundton mit.

Ich sitze also ausgerechnet an der Wand mit diesem einen Graffiti. Zufall? Ich erzähle meinem Gegenüber davon. Er spricht nur Englisch und heißt Paul…

P.S.: Ein weiteres Buch von Paul Auster heißt übrigens „Die Musik des Zufalls“.

 

zurück