22. Februar 2015

DIE INNENSEITE DER AUGENLIDER

Am Wochenende war ich wieder in Hamburg. Dieses Mal zur Premiere von Himmel (siehe Blogeintrag vom 06. Februar). An der Bushaltestelle, an der ich gestern auf den Bus zum Bahnhof Altona warte, kommt ein junger Mann dazu. Schätzungsweise Mitte 30, in heller  Sommerbekleidung, leichten Schuhen, einer Holzperlenkette um den Hals und einem sannyassin-haften nach innen gerichteten Lächeln im Gesicht. Als ich ihn sehe fällt mir spontan der Buchtitel ’Alles ist erleuchtet’ ein. Er steigt hinter mir in den Bus und wir bleiben nebeneinander stehen.

Ich habe mich schon auf die Busfahrt gefreut, denn in Altona fahren seit einer Weile rund 100 ganz besondere Busse: ausgestattet mit einem Bücherregal, die mit kostenlosem Lesestoff ausgestattet sind. Ein Gemeinschaftsprojekt der Verkehrsbetriebe Hamburg-Holsten mit dem Secondhand-Kaufhaus Stilbruch. Man kann sich für die Dauer der Fahrt ein Buch aus dem Regal nehmen, aber es auch mit nach Hause nehmen und dann irgendwann wieder in einen Bus zurückbringen (jedes Buch hat einen Sticker, auf dem steht „Schicken Sie dieses Buch wieder auf Lesereise – mit dem Bus“).

Beim letzten Besuch hatte ich mir bereits zwei Bücher mitgenommen (und bisher noch nicht wieder zurückgebracht… vielleicht lasse ich sie ja auch in einem Berliner BVG-Bus liegen, von wegen ausgesetzte Bücher, Sie kennen vielleicht meine Leidenschaft?!) und natürlich war ich gespannt, welche Bücher ich in diesem Bus auf meiner Fahrt zum Bahnhof finden würde.

Und wissen Sie was? Da war er: einer dieser magischen Momente, in denen man sich direkt verzaubert fühlt. Denn in diesem Busregal stand ein Taschenbuch, relativ dick, mit weißem Buchrücken. Titel und Name des Autors in schwarzen Großbuchstaben, die so aussehen, als seien sie mit der Hand geschrieben.

Falls Sie dieses Buch jemals in der Hand hatten beziehungsweise gelesen haben, dann werden Sie es vermutlich sofort am Buchrücken erkennen. Und vielleicht ahnen Sie auch schon, welches es ist?

Richtig: Jonathan Safran Foers Roman ’Alles ist erleuchtet’.

Da stand es. Und neben mir der junge Mann, der mich diesen Titel hat ’vorahnen‘ lassen…

Natürlich ist dieses Buch für mich bestimmt. (Oh ja, ich war kurz davor, den Mann anzusprechen und ihm zu sagen, was soeben passiert ist. Aber irgendetwas hat mich zurückgehalten.) Ich nehme es also mit und habe noch Zeit, darin zu blättern, bevor ich aussteige. An ein paar Sätzen, die alle in Klammern geschrieben sind, bleibt mein Blick hängen:

(Du hast Gespenster?)

(Natürlich habe ich Gespenster.)

(Wie sind deine Gespenster?)

(Sie sind auf der Innenseite meiner Augenlider.)

Und genau so kam mir dieses kleine große stille Erlebnis vor.

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