DER GRÖSSTE HUNGER DER WELT

Letztes Wochenende habe ich an der Ev. Akademie Meißen einen Wochenendworkshop zum Thema „Leben wagen“ geleitet. Sonntagabend auf dem Rückweg mit dem Zug nach Berlin: ich habe kurzen Aufenthalt in Dresden, bestelle mir bei Mai Mai im Bahnhof ein Tofu Chili-Basilikum Gericht und stelle mich zum Essen an einen hohen Bistrotisch. Ein paar Minuten später beginnt eine Frau, die sich ebenfalls etwas zu Essen geholt hat, ein Gespräch.

„Ich war im Biosphärenreservat in der Oberlausitz. Kennen Sie das?“

„Nein, leider nicht. War es schön?“

Sie nickt. „Die haben eine Sonderausstellung im Haus der 1000 Teiche. Karpfen.“

„Nur über Karpfen?“ 

Darauf antwortet sie nicht, sondern sagt vollkommen unvermittelt: „Ich arbeite in der Diakonie. Aber eigentlich bin ich Schriftstellerin.“

„Ach! Das ist ja interessant. Was schreiben Sie denn?“ (Eine Frage, die ich schrecklich finde, aber sie ist mir so rausgerutscht.)

„Über Gott und die Welt.“

„Was zum Beispiel?“

„Über alles.“
„Aber was denn zum Beispiel?“ (Ich wollte es wirklich wissen.)

„Warum die Vögel in Nestern leben. Aber nicht alle. Nicht alle leben in Nestern. Aber alle müssen sich Nahrung suchen, egal wo sie leben. Das machen sie den ganzen Tag. Die machen nichts anderes als Nahrung suchen.“

„Darüber schreiben Sie?“

„Und über Gott.“

„Was zum Beispiel?“

„Dass auch Gott essen muss. Er hat den größten Hunger der Welt.“

Dann sehen wir uns gemeinsam die Speisekarte an und überlegen, was Gott wohl wählen würde. Ob er Vegetarier ist oder nicht. 

„Er liebt Ente.“ sagt sie.  

Ich muss los zu Gleis 5 und frage zum Abschied, ob ich die Geschichte mit den Vögeln in den Nestern irgendwo lesen kann. 

„Ja, in meinem Kopf.“ sagt sie ganz selbstverständlich. 

Dieser wunderbare Satz hat mich die ganze Woche begleitet. Und einer der vielen Bibelsprüche, die in der Akademie an vielen Stellen zu lesen sind. Einer davon lautet: „Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit, denn sie sollen satt werden.“ (Matthäus 5,6)