29. September 2021

DER LITER-O-MAT

Vor drei Tagen war Wahlsonntag und wenige Tage zuvor hatte ich in diesem Zusammenhang besonderen Besuch. Ich habe das Wahlkampagnen-Angebot des Grünenpolitikers Taylan Kurt angenommen, ihn zu einem persönlichen Gespräch in die eigene Wohnung einzuladen – zu Kaffee und von ihm mitgebrachten Baklava. 

Wir haben uns eineinhalb Stunden über die Probleme im Kiez, über Wünsche und Zukunftsprojekte unterhalten. Und natürlich habe ich ihn auch gefragt, ob es Autor*innen, Bücher oder literarische Figuren gibt, denen er sich besonders verbunden fühlt. Nicht direkt, hat er gesagt, erzählte aber von seinem Großvater, der für ihn ein echtes Vorbild sei und der, hätte er einen anderen Bildungshintergrund gehabt, mit großer Wahrscheinlichkeit Schriftsteller geworden wäre. 

Politiker*innen werden ja seit jeher gern nach ihrer Lieblingslektüre gefragt. Auf diese Standardfrage sind sie natürlich vorbereitet und geben imagegerechte Antworten. Die Bibel (in den USA nach wie vor am häufigsten genannt und zwar von Demokrat*innen ebenso wie von Republikaner*innen) ist in Deutschland selbst bei CSU Mitgliedern nicht mehr zeitgemäß. Und ehemalige Titel-Nennungen wie „Der Mann ohne Eigenschaften“ (Bruno Kreisky), „Ich habe den englischen König bedient“ (Joachim Gauck) oder „Der kleine Prinz“ (François Hollande) würden heute nicht nur wie aus der Zeit gefallen wirken, sondern aufgrund ihrer Symbolik unfreiwillig peinlich.

Aber nicht nur einzelne Politiker*innen, sondern auch Parteien als Ganzes wollen ihre „Persönlichkeit“ definieren und schärfen. Und in diesem Zusammenhang fand ich den Musik-O-Mat interessant, den der Streaming-Dienst Deezer – angelehnt an den erfolgreichen Wahl-O-Mat – entwickelt hat. 

Deezer hat den Parteien Fragen gestellt wie „Was ist dein Lebensmotto?“, die diese mit Songs beantwortet haben wie beispielsweise „Freedom“ von Beyonce oder „Hoch“ von Tim Bendzko. Als Userin klicke ich jeweils den Song an, der meiner eigenen Antwort am nächsten kommt und nach neun Fragen erfahre ich dann, mit welcher Partei sich mein Musikgeschmack am ehesten deckt.

Entsprechend spannend fände ich es zu erfahren, mit welchen Büchern sich die Parteien identifizieren (wollen). Die CDU vielleicht mit einem traditionellen deutschen Klassiker? Die LINKEN mit einem Theaterstück von Brecht? Und Bündnis 90/die Grünen mit einem Climate Fiction Titel (in den USA bereits Trend-Genre)? 

Ich finde also, wir brauchen für die nächste Bundestagswahl unbedingt einen Liter-O-Mat, was denken Sie? 

P.S.: Beim Musik-o-Mat kam übrigens heraus, dass mein Musikgeschmack zu 44 % mit einer Partei übereinstimmt, die ich nicht gewählt habe und auch nicht wählen würde. Ich hoffe natürlich, dass die Trefferquote beim Liter-O-Mat wesentlich besser wäre. Um dies zu gewährleisten, sollte ich ihn vermutlich selbst ins Leben rufen. Ich hätte ja immerhin noch vier Jahre Zeit. Hat jemand Lust mitzumachen?

zurück