24. Oktober 2016

GIB MIR ZWEI ’L’! (ODER NOCH MEHR)

img_5300Nach zwei Wochen Seminarleitung in Baden-Württemberg und Hessen habe ich das Wochenende im Yoga Vidya Zentrum in Bad Meinberg verbracht. Und bereits am Eingangsbereich hat mich ein hängendes Windspiel empfangen, das mir wie der Nachklang meiner Bildungswoche auf der Akademie Burg Fürsteneck vorkam, in welcher Kreativität und Achtsamkeit im Zentrum standen. Entsprechend war unter anderem der Aspekt Perfektheitsanspruch immer wieder Thema.

Dieser Anspruch zeigt sich auch beim Schreiben, oftmals sogar beim Verfassen privater Mails. Wie oft korrigiere ich? Wie lange feile ich an Formulierungen? Und sogar bei persönlichen Tagebucheinträgen oder Notizen kann es vorkommen, dass Flüchtigkeitsfehler automatisch korrigiert werden, obwohl Niemand diese Aufzeichnungen lesen wird.

Da der Grad zwischen wohltuender Korrektheit und unter Druck setzendem Perfektionismus sehr schmal ist, kann es entsprechend hilfreich sein, diesen Anspruch auf angemessene Weise nach und nach zu besänftigen. Beispielsweise indem man diese Flüchtigkeitsfehler im privaten oder persönlichen Kontext nicht zwanghaft korrigiert.

Und an dieser Stelle kommt das Windspiel vor dem Yoga-Zentrum ins Spiel. An weißen und orangefarbenen Schnüren hingen nämlich nicht nur Kastanien, Blumen und Kräuter, sondern auch ein handgeschriebener grüner Zettel, regengeschützt in zurechtgeschnittener Klarsichthülle. Auf diesen Zettel hatte Jemand mit Bleistift drei Worte geschrieben: Frieden, Ruhe, Gellassenheit.

Ja, Sie haben richtig gelesen: Gelassenheit war mit zwei ’L’ geschrieben.

Das hat mir natürlich gefallen: erstens habe ich diese Schreibweise noch nie gelesen. Zweitens war es eine direkte Übung in Gelassenheit, sich an diesem so genannten Rechtschreibfehler zu erfreuen, statt innerlich den Kopf zu schütteln. Und drittens schien mir eine Stimme ins Ohr zu flüstern, die offensichtlich die ersten vier Buchstaben dieses Wortes – GELL – herausgegriffen hatte:

„Das ist ein schönes Windwortspiel, GELL?“

„Ja,“ flüsterte ich zurück, berührte eine Kastanie, sodass das Windspiel in Bewegung kam und sagte

mir unhörbar immer wieder das Wort Gellllllllassenheit vor, während ich in Richtung Rezeption ging.

Kann es einen schöneren Start in ein Yoga-Wochenende geben?

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