10. Oktober 2015

NASENFLÜGELBEBEN

IMG_8264Die vergangene Woche habe ich in Stuttgart verbracht, um dort an der architektonisch beeindruckenden Stadtbibliothek am Mailänder Platz insgesamt 7 Workshops für ehrenamtliche Vorleser*innen zu leiten.

Übernachtet habe ich in einem Motel One. Als ich am ersten Morgen  in den Frühstücksraum komme,  sehe ich über der Müsliecke ein kleines Gedicht von Ringelnatz an der Wand (es heißt Morgenwonne, wie ich gerade herausgefunden habe).

„Aus meiner tiefsten Seele zieht mit Nasenflügelbeben ein ungeheurer Appetit nach Frühstück und nach Leben.“

Ich habe mich an allen fünf Frühstücken auf einen Platz gesetzt, von dem aus ich einen guten Blick auf dieses Gedicht hatte, um es als eine Art Tagesmotto in mein Frühstück einfließen zu lassen.

Ringelnatz gehört wahrlich nicht zu meinen Lieblingsdichtern. Ich mag den Ton nicht, in welchem er in seinen so genannten Bonmots über Frauen spricht.

Was mir aber gefällt ist sein Wort „Nasenflügelbeben“ (Die positive Assoziation des Wortes, nicht die Assoziation der unterdrückten Wut.) Außerdem gefällt mir, dass dieses Wort offensichtlich in keinem anderen Gedicht, Text, Artikel oder Ähnlichem zu finden ist, sondern ausschließlich in diesem Gedicht von Ringelnatz. Das habe ich gerade gegoogelt, kann es aber kaum glauben, recherchiere also nochmal ein bisschen und finde tatsächlich doch noch zumindest einen anderen Beitrag mit diesem Wort. Es ist ein Artikel im Tagesspiegel , der über den Gastauftritt der Wiener Philharmoniker unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt vor 13 Jahren berichtet. Der Artikel trägt die Überschrift „Nasenflügelbeben“ und bezieht sich auf Harnoncourts Aussage, dass er bei den präsentierten slawischen Tänzen bebende „böhmische Nasenflügel“ sehen will und „Beine, die es nicht mehr am Boden hält“.

Und wenn man dem Artikel glaubt, dann hat das Publikum ganz offensichtlich aus seiner tiefsten Seele mit Nasenflügelbeben diesen ungeheuren Appetit nach Tänzen und Leben gespürt.

Wann haben Ihre Nasenflügel das letzte Mal auf diese Art und Weise gebebt?

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