30. Juni 2013

RILKE ALS TATTOO

In dieser Woche ist ein Tattoo – ja, ein Tattoo! – immer wieder durch die unterschiedlichsten Medien gegeistert: ein Tattoo von Lady Gaga, bekannt nicht nur für ihre Musik und ihre Aufsehen erregenden Aktionen, sondern auch für ihren intellektuellen Hintergrund.

Das Tattoo – riesengroß auf ihrem linken Unterarm – ist ein Rilke-Zitat. Es begleitet mich sowohl in meiner Arbeit als Schreibcoach als auch in meinem eigenen Schreiben schon seit langem und lautet folgendermaßen:

“Prüfen Sie, ob er in der tiefsten Stelle Ihres Herzens seine Wurzeln ausstreckt, gestehen Sie sich ein, ob Sie sterben müßten, wenn es Ihnen versagt würde zu schreiben. Dieses vor allem: Fragen Sie sich in der stillsten Stunde Ihrer Nacht: Muss ich schreiben?“

Diese Zeilen stammen aus dem ersten von insgesamt zehn Briefen an einen jungen Dichter, die Rilke in den Jahren 1903 bis 08 als Antwort an Franz Xaver Kappus verfasst hat, der von ihm wissen wollte, ob seine Verse gut seien. Das „er“ im Zitat bezieht sich auf den „Grund, der Sie schreiben heißt“ und den Kappus laut Rilke unbedingt erforschen sollte.

Lady Gaga liest nach eigenen Angaben täglich Rilke, ihr „favorite philosopher“. Seine „philosophy of solitude“ sei ihr sehr nah und unter anderem auf You Tube kann man sie schwärmen und Ihre Empfehlung hören, unter allen Umständen Rilkes Briefe zu lesen.

Ich nehme ihr diese echte Begeisterung durchaus ab und versuche mir vorzustellen, welchen Einfluss ein solches Tattoo auf einen selbst hat. Ein permanenter… stiller… intensiver Dialog mit diesem wunderbaren Autor? Eine immerwährende Überprüfung des eigenen künstlerischen Schaffens? Tägliche Motivation?

Nur mal angenommen, Sie würden sich ebenfalls ein literarisches Zitat stechen lassen: welches wäre das?

Meine Wahl würde – heute jedenfalls – auf ein Zitat von William Shakespeare fallen, der Folgendes gesagt haben soll: „Wenn das ganze Jahr über Urlaub wäre, wäre das Vergnügen so langweilig wie die Arbeit.“

Das hört sich zwar gar nicht nach Shakespeare an, aber ich recherchiere das jetzt nicht, denn ich habe ab sofort Urlaub…

In diesem Sinn grüße ich Sie herzlich und wünsche Ihnen, dass Sie sich wohl in Ihrer Haut fühlen – mit oder ohne Tattoo. Und dass die Sommersonne Ihrer Haut kleine prickelnde Stiche versetzt, als angenehme Alternative zur Tätowiernadel.

 

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