30. September 2017

SCHREIBEN UND KÜSSEN

Vor ein paar Tagen hat mir eine Freundin aus Nürnberg dieses Foto geschickt. Eine Papiertüte der Initiative Schreiben e.V., die behauptet: Wer schreibt, küsst besser!

Klar, der Spruch soll werbewirksam sein, in jedem Fall auffallen und darf entsprechend auch ein bisschen provozieren. Wahrscheinlich ist er letztlich also gar nicht ernst gemeint.

Trotzdem: ich merke, dass er mich tatsächlich provoziert. Nämlich deswegen, weil er zwar vordergründig etwas Positives über das Schreiben sagt, sich dahinter aber diese hierarchische Bewertung versteckt, dass es besser ist zu schreiben als nicht zu schreiben. Ja, das mag stimmen. Aber es ist auch besser fernzusehen als nicht fernzusehen (schreit Jemand von Ihnen gerade auf?) Und es ist besser miteinander zu sprechen als nicht miteinander zu sprechen. Das bringt also nicht weiter.

Außerdem erinnert er mich an all die kläglichen Versuche, dem Schreiben Sinnlichkeit anzudichten und es körperlicher zu machen, um es vom alten Image der körperlosen vergeistigen Kopfarbeit zu befreien.

Aber stimmt es denn, dass man besser küsst, wenn man schreibt? Ja, weil man gewohnt ist, sich in der Fantasie Dinge auszumalen und sich somit auch besser fantasievolle Küsse ausmalen kann? Oder nein, weil man in der Fantasie immer weiter herumspinnt und sich nicht aufs Küssen konzentriert? Ja, weil man durchs Schreiben darin trainiert ist, sich in andere Figuren und deren Bedürfnisse hineinzuversetzen und man deshalb besser weiß, wie dieser Mensch geküsst werden will? Oder nein, weil man denkt, man wisse, wie dieser Mensch geküsst werden will, weil man besonders sensibel ist (schließlich schreibt man ja!) und dann gar nicht mehr richtig hinfühlt?

Da fällt mir auf, dass ich die ganze Zeit nur ans Schreiben von Belletristik denke. (Meine Güte! Muss etwas mit meinem Beruf zu tun haben…). Dabei gibt es noch das Schreiben von Lexikonartikeln über Chlorverbindungen, von Gebrauchsanweisungen für Gefriertrockner, von Gerichtsgutachten bei Nachbarschaftsstreits, Twitter- und Whatsapp-Nachrichten, Einkaufslisten und To do Listen. Küsst man dann ebenfalls besser, wenn man diese schreibt? Ach, und Blogs natürlich.

Kurzum: Ich kann mich dieser Tüten-Behauptung nicht anschließen. Ich glaube nicht, dass man besser küsst, wenn man schreibt (und zwar egal ob handschriftlich oder auf der Tastatur).

Ich glaube allerdings, dass der umgekehrte Fall zutrifft: Wer küsst, schreibt besser! Ja, das glaube ich tatsächlich. Denn gelebte Sinnlichkeit belebt in jedem Fall den kreativen Ausdruck.

Was meinen Sie?

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