SELBSTÜBERSETZUNG
In dieser Woche ist mir die Einladung zu einer Tagung am Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin auf den virtuellen Schreibtisch geflattert, die im November stattfinden wird: „Selbstübersetzung als Wissenstransfer“ ist das Thema.
„Von Selbstuebersetzungen kann immer dann gesprochen werden, wenn sich Autoren als ihre eigenen Uebersetzer betaetigen. Dabei handelt es sich um ein
faszinierendes Phaenomen, das im Feld der literarischen Uebersetzung bereits
seit laengerem in den Blick genommen wird, aber in seiner wissenstheoretischen
und -geschichtlichen Reichweite noch weitgehend unerforscht ist.“ heißt es in der Ankündigung.
Im literarischen Kontext ist damit klassischerweise die Tatsache gemeint, dass Autor*innen ihr eigenes Werk oder Teile daraus in eine andere Sprache übersetzen, wie beispielsweise James Joyce Passagen aus Finnegans Wake ins Italienische übersetzt hat.
Dann kam mir wieder Urs Widmer, dem mein letzter Blogeintrag gewidmet war, in den Sinn und sein autobiografisches Schreiben. Und ich dachte: Autobiografisches Schreiben ist im Grunde ebenfalls eine Form von „Selbst-Übersetzung“.
Denn jemand, der/die autobiografisch schreibt, betätigt sich im Grunde immer auch als ÜbersetzerIn des eigenen Selbst, denn das erinnerte Selbst ist naturgemäß immer ein anderes als das geschriebene. Es wurde also übersetzt.
Und genau hier liegt ja eine der besonderen Herausforderungen beim autobiografischen Schreiben: passende Worte für etwas zu finden, das in uns als Bild und Emotion gespeichert ist. Deshalb kann autobiografisches Schreiben = Selbstübersetzen meines Erachtens letztlich auch „nur“ eine Art Annäherung an das eigene Selbst sein. Und ist somit eher eine Übertragung als eine Übersetzung.
Wobei mir der Begriff der literarischen Übertragung sowieso grundsätzlich besser gefällt. Er wirkt auf mich ehrlicher, auch in Bezug darauf, die Grenzen dieses Vorhabens anzuerkennen. Unabhängig davon, ob es sich dabei um einen fremden Roman, den eigenen Roman oder das eigene Selbst handelt…
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