11. Juni 2017

WAS MAN NICHT ALLES SOLL

Was man nicht alles soll in dieser unserer Zeit: man soll präsent sein, politisch interessiert und ehrenamtlich engagiert. Man soll Sport machen, gesund essen und genügend schlafen. Und natürlich soll man auch lesen. Oder noch besser: MEHR lesen.

Diese Überzeugung respektive Aufforderung hat mich vor wenigen Tagen auf einer Umhängetasche angelacht. Eine Frau, die ebenfalls auf eine S-Bahn gewartet hat, hatte diese Tasche über die linke Schulter gehängt.

Du sollst mehr lesen.

Das stand da Weiß auf Schwarz, mit großem DU und auch ohne Ausrufezeichen wie ein Appell.

Es handelte sich um eine Werbetasche des Antiquariats Bücherhalle in Schöneberg und sicherlich ist dieser Spruch durchaus ernst und ehrlich gemeint – auch wenn es vermutlich noch ehrlicher wäre, wenn da stehen würde: Du sollst mehr Bücher kaufen.

Dennoch ist eine selbst-ironische und humorvolle Lesart nicht zu leugnen und das macht ja letztlich auch den Charme dieser Tasche aus, die mich in die S-Bahn hineinbegleitet hat.

Klar: ich soll, du sollst, wir sollen mehr lesen und Gründe dafür gibt es viele. Lesen bildet, trainiert die Gehirn-Tätigkeit im Allgemeinen und die Fantasie im Speziellen, reduziert Stress, verbessert den eigenen Schreibstil und – und das ist mein Lieblingsgrund: Lesen fördert die soziale Kompetenz.

Denn während noch bis vor wenigen Jahrzehnten Romanleserinnen und -leser in erster Linie das Image von eher stillen, im Zweifelsfall sogar eigenbrötlerischen Menschen hatten, die sich in ihre eigene Welt zurückziehen und – wie man so sagte – die Welt um sich herum vergaßen, hat sich dieses Bild mittlerweile stark verändert.

So haben PsychologInnen der University of Toronto vor rund zehn Jahren beispielsweise herausgefunden, dass RomanleserInnen wesentlich empathischer sind als Menschen, die keine Belletristik lesen.

Ich vermute, dass man Ursache und Wirkung hier auch umdrehen kann, denn ich kann mir gut vorstellen, dass empathische Menschen ganz einfach gern Romane lesen. Denn in Romanen finden sie besonders viele emotionale Andock-Stellen und Identifikationsmöglichkeiten.

Wie ist das bei Ihnen? Für wie empathisch halten Sie sich und sehen Sie da einen Zusammenhang zu Ihrem Roman-Konsum?

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