28. Dezember 2020

WAS VOM JAHRE ÜBRIG BLIEB

Hier in Berlin gibt es Mülleimer, die Geschichten erzählen.

Geschichten über das, was sich im Laufe des Tages in ihnen angesammelt hat. Das, was übrig geblieben ist. 

Der Roman „Was vom Tage übrig blieb“ des Nobelpreisträgers Kazuo Ishiguro erzählt ebenfalls eine Geschichte. Die des englischen Butlers Stevens, der während einer Reise im Jahr 1956 sein Leben rückblickend reflektiert. 

Für mich liegt das Besondere dieses Romans genau in dieser klugen und vielschichtig konstruierten Erzählperspektive, aus der unsere menschliche Neigung und Notwendigkeit deutlich wird, biografische Ereignisse und Erfahrungen in ein höchst subjektives Narrativ zu verwandeln. Und die damit verbundene Auseinandersetzung mit unseren Sehnsüchten, mit empfundenen Fehlentscheidungen und unwiederbringlichen alternativen Lebenswegen.

Was bleibt am Ende unseres Tages, unseres Lebens übrig? 

Und was von uns als Leser*innen?  

Shakti Paqué gibt in ihrem Buch „Was vom Leser übrig bleibt“ Antwort darauf. Die Autorin hat 587 Fundstücke aus antiquarischen Büchern gesammelt. Postkarten, gepresste Blumen oder Lesezeichen in Form von Einkaufszetteln, bei deren Anblick sich Fantasieräume öffnen für alle möglichen Buchbeziehungsgeschichten, wie sie es nennt.   

In Gedanken füge ich dieser Sammlung die alte Quittung aus dem Jahr 1993 hinzu, die mir gestern in die Hände fiel, als ich im Schreibtherapie-Klassiker „ …und triffst du nur das Zauberwort“ blättere. 

Und ich denke: dieses Zauberwort, das aus einem Gedicht von Eichendorff geflogen kommt, kann auch eine Art Türöffner sein. Damit ich erkennen kann, was mir wichtig und wertvoll ist. Was ich für die Zukunft bewahren möchte. Was übrig bleiben soll. 

So wünsche ich Ihnen heute, dass Sie in diesem Sinn rückblickend Ihr ganz persönliches Zauberwort für 2020 finden werden (falls Sie danach suchen). 

P.S.: Und sehen Sie sich das an: Frau Zech, die damals die Quittung ausgestellt hat, sind zwei Rechtschreibfehler unterlaufen. Mit diesen hat sie, ohne dass wir beide es ahnen konnten, heute – 27 Jahre später – an diesem Blogpost quasi mitgeschrieben.

Denn ihr Wort „trieff“ statt „triffst“ könnte eines dieser ganz persönlichen Zauberworte sein, deren Bedeutung man nur selbst entschlüsseln kann. Und dass sie offensichtlich ans Schreiten statt ans Schreiben gedacht hat, lässt mich mutig voranschreib/ten ins Jahr 2021. 

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