18. November 2012

5,2 LFM

„Wenn es ein Schicksal gibt, dann ist Freiheit nicht möglich. Wenn es aber die Freiheit gibt, dann gibt es kein Schicksal. Das heißt also, wir selbst sind das Schicksal.“

Das hat der Literaturnobelpreisträger Imre Kertész einmal im Zusammenhang mit seinem berühmtesten Werk Roman eines Schicksalslosen gesagt, in welchem er die Geschichte des 15- jährigen György erzählt, der nach Auschwitz und Buchenwald deportiert wird. Die Zugfahrt in den Viehwaggons erlebt dieser wie ein Pfadfinderabenteuer. Und seine naiven, kindlichen Sätze wie „Ich kann sagen, auch ich habe Buchenwald bald liebgewonnen.“ oder „Ein bisschen möchte ich noch bleiben in diesem schönen Konzentrationslager.“ machen uns Leser*innen auf besondere Weise betroffen und erinnern auch an den Film „Das Leben ist schön“. Einen Film übrigens, den Kertész lobt und für authentisch hält, ganz im Gegensatz zu Spielbergs Film Schindlers Liste, den er als kitschige Auschwitz-Lüge bezeichnet.

In dieser Woche hat Kertész seine gesamten literarischen Materialien der Berliner Akademie der Künste vermacht. Dabei handelt es sich um Manuskripte sowie Vorarbeiten seiner wichtigsten Romane, Kalender, zum Teil mit Tagebucheintragungen, mehrere Tagebücher ab 1961, Schriftwechsel mit Verlagen, Zeitschriften und Institutionen. Außerdem Leser*innenzuschriften, private Korrespondenz, persönliche Dokumente und alle mögliche Sekundärliteratur zu Leben und Werk.

5,2 lfm. machen diese Materialien insgesamt aus. So steht es auf der Akademie-Website. Eine nüchterne, ernüchternde, aber gleichzeitig auch faszinierende Vorstellung: all diese literarischen Ausdrucksformen, die sich innerhalb von Jahrzehnten angesammelt haben, werden hier, an ihrem vermutlich letzten Aufenthaltsort nun in der Maßeinheit Regalmeter zusammengefasst.

Anlässlich seiner Schenkung habe ich Kertész vor wenigen Tagen in einem Fernsehinterview gesehen. Gelöst und glücklich hat er gewirkt und in seinem gebrochenen tastenden Deutsch hat er gesagt: „Ich fühle… mein Werk ist… rund… rund wie der Globus.“

Ein schönes Bild. Rund. Für mich ein versöhnlicher Kontrast zu den kerzengeraden Regalmetern.

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