im gegenteil
Seit mehr als 15 Jahren sammle ich Wörter und Ausdrücke, die gleichzeitig in zwei entgegengesetzte Bedeutungsrichtungen weisen. Ich bezeichne diese Wörter als bipolar.
Dieses Phänomen interessiert mich seit meinem Besuch in der Mannheimer Duden-Redaktion Ende der 80er Jahre. Damals war ich als Buchhändlerin zuständig für die Lexika-Abteilung. Ein Redakteur erzählte mir, dass der Ausdruck, etwas passe ‚wie die Faust aufs Auge‘ sowohl bedeuten könne, dass etwas besonders gut passe als auch, dass es überhaupt nicht passe. Die jeweilige Bedeutung würde ausschließlich durch den Kontext ersichtlich werden.
Was aber passiert, wenn man diese bipolaren Wörter und Ausdrücke unabhängig vom Kontext betrachtet? Lassen sich dennoch beide Bedeutungen (re)konstruieren? Bei manchen Wörtern fällt dies leichter, bei manchen schwerer. Und bei wiederum anderen gelingt es womöglich gar nicht, weil Spezialwissen nicht zur Verfügung steht, beispielsweise eine bestimmte Sprache.
Mich fasziniert die erstaunliche Fähigkeit dieser Wörter, uns auf uns selbst zurück zu werfen: auf unsere soziale und kulturelle Prägung, unsere Kontextabhängigkeit, aber auch auf unsere Kreativität und Denkfreiheit.
Das Wachsen meiner Sammlung ‚im gegenteil‘ kann ich nicht selbst beeinflussen. Denn nie kann ich wissen, wann ich dem nächsten bipolaren Wort begegnen werde. Dies fordert meine Aufmerksamkeit und meine Geduld. Läuft mir dann plötzlich ein neues Wort über den Weg, empfinde ich das als wahres Geschenk.