29. März 2015

DANCE LIKE A POET

dance poetAls ich am Donnerstag im ICE nach Frankfurt auf dem Weg zum Bistro einem Mann mit Koffer ausweiche und kurz stehen bleiben muss, sehe ich eine Frau am Fensterplatz, die auf kleine verschiedenfarbige Karteikärtchen einzelne oder mehrere Wörter schreibt. Das macht mich natürlich neugierig. So bleibe ich etwas länger neben ihrem Sitz stehen als es eigentlich nötig gewesen wäre (der Mann mit dem Koffer war längst vorbei) und kann tatsächlich etwas erkennen: Dance like a prayer schreibt sie mit schneller und entschiedener Handschrift auf eines der Kärtchen.

Dance like a prayer. Als erstes denke ich an Derwische. Aber ist die Trance, in die sie sich tanzen, ein Gebet? Und gibt es einen spezifischen Rhytmus, der all die verschiedenen Gebetsformen miteinander verbindet? Oder findet jeder betende Mensch immer seinen ureigenen Rhythmus, wenn er sich dem Gebet wirklich hingibt?

Am Abend erfahre ich, dass just an diesem Tag „der Poet, den alle lieben“ gestorben ist: Tomas Tranströmer, einer der populärsten schwedischen Autor*innen. Im Jahr 2011 wurde er mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, „weil er uns in komprimierten, erhellenden Bildern neue Wege zum Wirklichen weist“.

Der Stockholmer hatte seit einem schweren Schlaganfall vor rund 20 Jahren, der beinahe sein Leben gekostet hätte, sein Sprachvermögen weitgehend verloren und sich mit gesprochenen Worten kaum verständigen können. Mit seinen Gedichten dafür  umso mehr. Er konzentrierte sich immer mehr auf komprimierte Formen wie beispielsweise Haikus, die er bereits in früheren Zeiten trainiert hatte.

Harald Hartung schreibt zum Tode Tranströmers in der FAZ, dass es in seiner Dichtkunst um eine Phantasie gehe, „die zugleich frei und verbindlich ist. Klarheit und Magie waren ihm keine Widersprüche.“ Tranströmer sei ein Einzelgänger gewesen, einer, dem Verantwortung vor der Sprache wichtig gewesen sei. „Das Entscheidende ist die Vision“, habe er selbst gesagt und sich als Dichter den selbstgewählten Auftrag gegeben, „dort zu sein, wo man ist“. Seine Poesie sei voll von profanen Erleuchtungen.

Und Gregor Dotzauer beschreibt ihn im Tagesspiegel als einen  Spezialisten für Übergänge, der sich am liebsten an den Grenzen aufhalte, dort, wo Träumen und Wachen, Innerliches und Äußerliches, Sprechen und Schweigen sich berühren.

Sein Gedicht ’Morgenvögel’ aus dem Jahr 1966 endet mit den Zeilen: Fantastisch zu spüren, wie mein Gedicht wächst,

während ich selber schrumpfe.

Es wächst, nimmt meinen Platz ein.

Es verdrängt mich.

Es wirft mich aus dem Nest.

Das Gedicht ist fertig.

Visionen. Erleuchtungen. Übergänge.

Tanz. Gebet. Gedicht.

Dance like a prayer.

Dance like a poet.

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