25. November 2012

DER LANGE WEG ZUR TEETASSE

Eben habe ich auf meinem Literaturkalender entdeckt, dass heute Anthony Burgess’ Todestag ist. Vermutlich ist mir das nur deshalb ins Auge gesprungen, weil ich gerade das Hörbuch „Der lange Weg zur Teetasse“ höre. Dieses Kinderbuch von Burgess ist nicht mehr lieferbar. Umso schöner, dass man sich in das Hörbuch (in Übersetzung und gelesen von Harry Rowohlt) hineinfallen lassen kann… so wie sich unser Held Edward, (der die nölige Stimme des Lehrers anhören muss, wie dieser über die langweiligen Könige der Angeln und Sachsen doziert und der sich sehnlichst woanders hin wünscht) durch ein Loch fallen lässt.

Edwards Pult hat nämlich Pockennarben von winzigen Löchern, wie sie ein kritzelnder Zirkel macht. Und er denkt, es wäre doch klasse, wenn er in einem dieser Löcher verschwinden könnte. Und natürlich passiert genau das und er befindet sich auf einem Schiff, das „sorgsam durch eines dieser Löcher gesteuert wurde. Das Loch gleich neben dem D seines Vornamens, den er auf den Tisch geschrieben hatte.“ und ein undurchsichtig aussehender Kapitän oder was auch immer fragt ihn: „Du, Junge, stehst du auf der Mannschaftsliste? Wie heißt du: Atalanta, Perseus, Psyche, Alkestis, Harun Al Rashid…?“ (Sie sehen, es ist nicht nur ein Buch für Kinder!)

Edwards Loch im Pult erinnert natürlich auch an das Kaninchenloch, durch das Alice ins Wunderland rutscht und ist es nicht wunderbar, wie schnell und wirksam solche Geschichtenanfänge sind! Eine langweilige Situation in der realen Welt… dann einfach von einem solchen Loch erzählt… und schon beginnt das Abenteuer: in einem erfundenen Land mit ganz eigenen Gesetzen.

Und genau so erfunden klingt die Tatsache, dass Burgess, der eigentlich Lehrer war und für den British Colonial Service in Malaya, Brunei und Borneo arbeitete, nur aufgrund einer Fehldiagnose mit dem Schreiben begonnen hat.

Auf Borneo teilten ihm Ärzte nämlich nach einem plötzlichen Zusammenbruch mit, dass er einen unheilbaren Gehirntumor und höchstens ein Jahr Lebenszeit vor sich habe. Burgess entschloss sich, sich ab sofort aufs Schreiben zu konzentrieren, um seiner Frau „etwas Persönliches zu hinterlassen“.

Dann kehrte er nach England zurück, wurde dort ausgiebig untersucht und für vollkommen gesund befunden. Diese Erlebnisse verarbeitete er in The Doctor is Sick, ein Buch, in dem übrigens bereits die spezielle Jugendsprache seines berühmtesten Romans Clockwork Orange anklingt.

Heute vor 19 Jahren ist Burgess als Multimillionär in London an Lungenkrebs gestorben: rund 40 Bücher und 40 Jahre später als prophezeit.

Heute Nachmittag kommt übrigens eine Verfilmung im TV, die zwar nichts mit Burgess direkt zu tun hat, aber ebenfalls diesen besonderen skurrilen britischen Humor atmet: Per Anhalter durch die Galaxis!

Unser Edward wäre sicherlich liebend gern als Anhalter weggereist von der Insel Eden, auf der er gelandet und die alles andere als paradiesisch war. Er wollte nämlich so schnell wie möglich wieder zurück zu seinem nöligen Lehrer, zu seiner Mutter und zu einer guten Tasse Tee…

 

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