DIE HERZLKLAUSEL
Pfingstsonntag, 7 Uhr morgens. Ich sitze bei geöffnetem Fenster in meinem kleinen Zimmer auf der Akademie Burg Fürsteneck und höre eine Vogel-Symphonie draußen in den Bäumen.
Hier leite ich einen Schreib-Workshop für „unerschrockene Kommunikation“ und zum Vergnügen, sich misszuverstehen. Anlass ist das Pfingst-Thema der Burg: „Lass uns reden“
Das erinnert mich an die vielen ebenso engagierten wie langen Diskussionen, von denen eine Lektorin des Wagenbach Verlags erzählt hat – anlässlich der Ausstellungseröffnung in der Berliner Staatsbibliothek zum 60jährigen Verlagsjubiläum.
Eines der Grundprinzipien des Verlags ist es nämlich, bei der Entscheidung darüber, welche Manuskripte publiziert werden, ausschließlich Einheitsbeschlüsse zu akzeptieren und keine hierarchischen Entscheidungen. Stattdessen wird solange diskutiert, bis alle für oder gegen eine Publikation stimmen.
Allein das ist sehr ungewöhnlich. Aber noch ungewöhnlicher ist die Ausnahme, die es von dieser Ausschließlichkeits-Regel gibt. Das Stichwort dazu lautet „Herzklausel“ und wird von einer Joker-Spielkarte repräsentiert.
Dahinter steckt folgendes: Falls es sich im Laufe einer Diskussion herauskristallisiert, dass nur noch die Person, die das Manuskript vorgeschlagen hat, die Publikation befürwortet, dann hat sie die Möglichkeit, die Herzklausel in Anspruch zu nehmen, diese Herzkarte zu ziehen und damit zu signalisieren, dass ihr dieses Manuskript ganz besonders am Herzen liegt.
Und was passiert dann? Unglaublich, aber wahr: Das Buch wird gedruckt!
Ist das nicht phänomenal? Und ganz offensichtlich ist der Verlag damit gut gefahren, nicht nur marktstrategische und inhaltliche Argumente zu berücksichtigen, sondern auch das Herz sprechen zu lassen.
Lang lebe der Wagenbach-Verlag!
P.S.: Diese Herzklausel-Karte kann man übrigens in einer der Ausstellungsvitrinen im Foyer der Staatsbibliothek am Potsdamer Platz besichtigen.
zurück