DIE ZUKUNFT DES LESENS UND SCHREIBENS
Am Freitag war ich im Berliner Literaturhaus. Dort haben die Autorin und Journalistin Kathrin Passig (die 2006 den Ingeborg Bachmann Preis gewonnen hat) und Hans Richard Brittnacher (Professor für Neuere Deutsche Literatur an der FU) über die Zukunft des Lesens und Schreibens diskutiert.
Vor allem Passig hat mich fasziniert mit ihren klug-reflektierten und gleichzeitig provokativ-revolutionären Gedanken. Beispielsweise zum Thema Co-Autorenschaft.
Passig geht es um echte Co-Autorenschaft, die weit über das hinausgeht, was bis dato üblich ist. Wie etwa im wissenschaftlichen Kontext, in welchem verschiedene Autor*innen zwar einzelne Kapitel eines Buches verfassen, aber als Verfasser*innen der Kapitel eindeutig zuzuordnen sind und zweitens jede/r für sich alleine schreibt.
Passig wünscht sich, dass die individuellen Schreibtalente verschiedener Menschen (z.B. gute Dialoge schreiben, Plot entwickeln oder recherchieren) gemeinsam für ein Buch genutzt werden können – etwas, das beim Drehbuchschreiben ganz selbstverständlich ist. Einige Autorenpaare gibt es bereits. Zum Beispiel Iny Klocke und Elmar Wohlrath, die zu zweit ihre historischen Romane schreiben. Da sie aber immer unter einem einzigen Namen erscheinen (alles Pseudonyme – das bekannteste ist Iny Lorentz), suggeriert dies wieder die klassische Situation des einzelnen Autors als Urheber.
Passig selbst arbeitet am allerliebsten mit Mehreren parallel an einem Text. Und zwar nicht mittels des klassischen Hin- und Hermailens von Textversionen, sondern mittels kluger Software wie Google Doc, mit Hilfe derer man mühelos parallel und miteinander schreiben kann, und zwar online an ein- und derselben Textversion: echte gleichberechtige Co-Autorenschaft.
Und dann gibt es noch die boomende Fan-Fiction (im Übrigen auch für Klocke und Wohlrath das erste Feld, in welchem sie geschrieben haben!). Passig nimmt die Vampir-Serie Twilight Zone als Beispiel: glühende Fans, die allerdings der Ansicht sind, dass viel zu wenig Sex in der Serie vorkommt, schreiben entsprechende Szenen einfach selbst. Aus rechtlichen Gründen dürfen zwar nicht die Originalnamen etc. benutzt werden, aber alle Fans wissen, wer gemeint ist. Das so entstandene e-book „50 shades of grey“ hat sich bereits über 20 Mio mal verkauft und ist laut Passig ein gutes Beispiel dafür, dass man auch als AutorIn nicht den Trend zum e-book als Veröffentlichungsmöglichkeit verpassen sollte.
Für sie ist Autorschaft als solche nicht wesentlich und ein Text somit keine Heilige Schrift, sondern schlicht und ergreifend bearbeitbares Manuskript. Und das bezieht in letzter Konsequenz auch die Leser*innen ein. So hat sie in einer Freiburger Veranstaltung die Vision eines e-books formuliert, in das man eine Art Equalizer einbauen kann. Entsprechend zur Musikwiedergabe, wenn man zum Beispiel die Lautstärke der Basstöne eigenhändig herunterregeln kann, kann man dann auch die Menge von Adjektiven oder Beschreibungen in einem Text reduzieren.
Unabhängig davon, ob es ein solches e-book tatsächlich einmal geben wird: ist es nicht interessant, wie solche Visionen unser Denken und Schreiben beeinflussen können?
Was halten Sie davon?
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