19. Mai 2013

IN FREMDEN ZUNGEN SPRECHEN

Heute ist Pfingstsonntag. Der Tag, an dem die Apostel erlebten, wie „ein Brausen vom Himmel“ geschah „wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer (…) und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen.“

Natürlich ist das bildlich gesprochen. Bilder voller Kraft. Wie gute Poesie. Und doch gibt es Menschen, für die es sich bei diesen Bildern nicht um Symbole handelt, sondern die daran glauben, dass dies greifbare Realität war.

Das erinnert mich an einen Film, den ich letzten Sonntag gesehen habe: Bright Star von Jane Campion. Die dreifach Oscar-preisgekrönte Verfilmung der letzten drei Jahre im Leben des romantischen Dichters John Keats erzählt seine (wahre) Liebesgeschichte mit der Schneiderin Fanny Brawne. Auch Keats beschreibt im Film, wie „echt“ für ihn die Poesie sei. Keine romantisch-schwärmerische Gegenwelt, sondern eine ganz und gar reale.

Und ich denke, womöglich macht genau diese Fähigkeit eine gute Dichterin, einen guten Lyriker aus. Und womöglich ist es auch genau diese Fähigkeit, die wir beim Lesen von Lyrik in uns lebendig werden lassen müssen, um das Herz des jeweiligen Gedichts schlagen zu hören.

So stelle ich mir hier und heute vor, wie schön es wäre, wenn ich am sogenannten Pfingstwunder teilhaben könnte und plötzlich die Fähigkeit hätte, andere Sprachen zu sprechen und zu versprechen. Ich ginge jetzt hinunter auf die Straße und würde die arabische und türkische und indonesische Sprache verstehen, die mich hier immer umgibt. Zerteilte Zungen wie von Feuer. Dieses Feuer würde ich nicht löschen wollen!

P.S.: Falls es Sie interessiert: Hier das Gedicht zum Filmtitel Bright Star, das eine Liebeserklärung an Fanny war und in dem auch – passend zum Pfingstwochenende – ein Priester vorkommt.

Bright Star

Bright star, would I were steadfast as thou art —

Not in lone splendour hung aloft the night

And watching, with eternal lids apart,

Like Nature\’s patient, sleepless Eremite,

The moving waters at their priestlike task

Of pure ablution round earth\’s human shores,

Or gazing on the new soft-fallen mask

Of snow upon the mountains and the moors —

No — yet still stedfast, still unchangeable,

Pillow\’d upon my fair love\’s ripening breast,

To feel for ever its soft swell and fall,

Awake for ever in a sweet unrest,

Still, still to hear her tender-taken breath,

And so live ever — or else swoon to death.

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