LITERATUR DER UNTERDRÜCKTEN
Vor drei Tagen hat der neue ROOM SERVICE begonnen, meine Halbjahresgruppe für intensive Arbeit an literarischen Projekten. Eine Teilnehmerin war vor kurzem in New York und hat mir Informationen zum theatre of the oppressed mitgebracht (localhost/theatreoftheoprressed.org).
Diese New Yorker Kompagnie steht in der Tradition des Brasilianers Augusto Boal, der in seiner Zeit des Exils in den 1970er-Jahren nach Deutschland kam und mit seiner spezifischen Theaterform Einfluss auf die politische Bildung nahm. Das so genannte Theater der Unterdrückten wird mittlerweile in rund 70 Ländern praktiziert und kombiniert Kunst und Selbsterfahrung mit politischem Probehandeln. Dabei werden unterdrückte oder vernachlässigte Ressourcen in spielerischen und ästhetischen Begegnungen aktiviert und die traditionell passiven Zuschauer*innen zu Aktivist*innen der Handlung.
Ich frage mich: Gibt es auch eine Literatur der Unterdrückten?
Nein! Nicht einmal Google findet einen einzigen Eintrag oder Hinweis auf Vergleichbares.
Natürlich kommt mir die Arbeiterliteratur in den Sinn, als sich Mitte des 19. Jahrhunderts Autor*innen parallel zum Aufkommen der Sozialen Frage auch mit den Lebensumständen des Arbeitermilieus beschäftigt haben. Und ich denke an die so genannte Literatur der Arbeitswelt, als in den 60er und 70er Jahren der BRD in literarischen Werkkreisen die Arbeits- und Sozialprobleme des kapitalistischen Systems stärker in das öffentliche Bewusstsein gerückt werden sollten.
Richtig vergleichbar ist das alles nicht. Aber lässt sich die unmittelbare Kraft des theatralen körperlichen Agierens überhaupt auf den literarischen Bereich übertragen?
Wenn ich darüber nachdenke, habe ich den Eindruck, dass es einen grundsätzlichen und letztlich unüberbrückbaren Unterschied gibt. Er besteht darin, dass im Theater das schauspielerische Handeln und die Rezeption durch das Publikum gleichzeitig geschieht, während dies beim Schreiben und Lesen nicht der Fall ist und zeitlich auseinander fällt. Aus diesem Grund kann auch keine unmittelbare Energie zwischen diesen beiden Seiten entstehen, sondern lediglich eine mittelbare.
Natürlich kann sowohl Schreiben als auch das Lesen bestimmter Lektüre meine unterdrückten und vernachlässigten Ressourcen aktivieren. Aber ich bin in beiden Situationen zunächst einmal an mich selbst gebunden und auf mich selbst zurückgeworfen. Die Öffnung nach Außen und den Austausch mit Anderen muss ich selbst initiieren. Er passiert nicht selbstverständlich.
Dies empfinde ich durchaus manchmal als tragisch. Und unter anderem aus diesem Grund habe ich mein Format ROOM SERVICE entwickelt. Hier rücken Schreiben, Lesen und der intensive Austausch mit Gleichgesinnten ein kleines Stückchen näher zusammen.
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