19. Juli 2022

NO MAD LAND

Vor wenigen Tagen habe ich im Kino Nomadland gesehen. Der Film von Chloé Zhao, der in diesem Jahr drei Oscars gewonnen hat und für weitere drei nominiert war, ist ein Roadmovie.

Wir begleiten Fern, eine Frau Mitte 60, die Mann, Job und ihren Heimatort verloren hat, fortan in ihrem Van lebt und sich Richtung Westen aufmacht, um Arbeit zu finden. Zhao ist in Vorbereitung für den Film lange durch die USA gereist und hat Van People interviewt und eine der Besonderheiten des Films ist es, dass einige dieser Menschen im Film sich selbst spielen. Ich muss an eine meiner USA Reisen denken, die Überführung eines fremden Autos und Durchquerung der USA von New York Richtung Westen bis nach San Francisco. 

Beim Verlassen des Kinosaals fällt mir eine Frau auf, die ebenfalls in der Vorstellung war und jetzt im Außenbereich des angedockten Restaurants sitzt. Ist das nicht die Tsitsi Dangarembga? Die Autorin und Filmemacherin aus Simbabwe, die gerade erst den Friedenspreis der Dt. Buchhandels 2021 erhalten hat? Oder bilde ich mir das nur ein, weil ich just in diesen Tagen ihr Buch „This Mournable Body“ (das im Herbst im Orlanda Verlag auf Deutsch erscheinen wird) zu lesen begonnen habe? 

Der Roman ist der dritte Band einer Trilogie, dessen zweiter Band, Nervous Conditions, übrigens von der BBC in die Liste der 100 wichtigsten Bücher, „die die Welt geprägt“ haben, aufgenommen wurde. This Mournable Body ist aus einer interessanten Du-Perspektive geschrieben, die wie ein Dialog der Erzählerin mit der Protagonistin wirkt. Auch in diesem Roman begleiten wir eine Frau, Tambudzai, auf der Suche nach Arbeit und einem selbstbestimmten Leben. Und auch Tambudzai hat ihren Job und ihre Wohnung verloren und lebt nun zwar nicht in einem Van, aber in einem Youth Hostel in Harare, Simbabwe, für das sie eigentlich zu alt ist. 

Dass Tsitsi Dangarembga ausgerechnet hier in Berlin sein könnte und diesen Film in deutscher Sprache ohne englische Untertitelung ansieht, wäre nicht verwunderlich, denn sie hat in Berlin Anfang der 90er Jahre Film studiert, ihre Doktorinarbeit im Fachbereich Afrikanistik an der Humboldt Universität Berlin geschrieben, 2019 hier das African Book Festival kuratiert und sie ist mit dem deutschen Filmproduzenten Olaf Koschke verheiratet, mit dem sie in Harare lebt. Aufgrund ihrer Lektüre von Anne Franks Tagebuch hat sie bereits als junges Mädchen begonnen, Deutsch zu lernen. 

Ich sehe mir die Frau nochmals näher an und bin nun ganz sicher. Sie ist es. Was für eine schöne Vorstellung, dass wir in derselben Kinovorstellung gesessen sind und zeitgleich dieselben Bilder gesehen, dieselben Worte gehört haben. Wie gern hätte ich erfahren, was sie über den Film denkt, dessen Bildsprache sowie das Filmplakat, das für mich eine Art Sterntaler-Motiv ist und nicht zuletzt über die Musik, die mich als einziges Element überhaupt nicht überzeugt hat. 

In den letzten Tagen immer wieder: Tsitsi, Chloé, Fern und Tambudzai. Alle vier Frauen verbindet ihre Reise durch dieses NOMADLAND, sei es real oder fiktional. Mit der Sehnsucht nach einem Leben, das mehr ist als nur das Überleben in dieser verrückten Gesellschaft. Eines, das gerecht und gleichberechtigt ist. Ein NO MAD LAND, denke ich. 

P.S.: Auf dem Foto sehen Sie Tsitsi Dangarembga direkt links neben der Tür. Schemenhaft, ich wollte nicht näher heran. 

P.P.S.: Und falls Sie Roadmovies ebenso lieben wie ich: mich hat der Film stark an John Fords beeindruckende Verfilmung von Steinbecks Früchte des Zorns aus dem Jahr 1940 erinnert. Auch dieser Film hat Oscar-Geschichte geschrieben: für sieben Oscars nominiert, gewann er in den Kategorien Beste Regie und Beste Nebendarstellerin.

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