21. März 2015

PSEUDONYME

udo hoenigIn meinem derzeitigen Seminar Einführung ins Literarische Schreiben geht es unter anderem um die Entwicklung von Figuren. Dabei spielt der Name, den man für eine Figur findet, eine wesentliche Rolle. Auch hier gilt ’nomen est omen‘, denn wir Leser*innen assoziieren ganz automatisch und meist unbewusst mit einem Namen bestimmte Eigenschaften. Dessen sollte man sich bewusst sein und entsprechend bedacht und durchaus auch strategisch bei der Namenwahl vorgehen.

Passend zu diesem Themenkomplex stand vor wenigen Tagen plötzlich ein Name vor mir, als ich am Zellengefängnis Lehrter Straße in Moabit vorbeigeradelt bin. In großen Lettern, geklebt auf das Gefängnistor: Udo Honig.

Aufgrund all der Equipment- und Cateringautos entlang des Gefängnisses war klar, dass hier ein Film gedreht wurde. War Udo Honig vielleicht der Regisseur, dessen Name im Vorspann auf dem Tor zu lesen sein wird? Oder einer der Charaktere? Und welchen Charakter hat wohl eine Figur mit diesem Namen?

Was sind Ihre ersten Assoziationen? Falls Sie spontan an den Namen Uli Hoeneß gedacht haben, liegen Sie ganz richtig. Denn Udo Honig (ich hab’ natürlich recherchiert) ist der Protagonist des gleichnamigen Sat1-Films mit dem Untertitel ’Kein schlechter Mensch’ und erzählt – angelehnt an den Fall Uli Hoeneß die Geschichte eines Fußballmanagers (Uwe Ochsenknecht), der eine Haftstraße wegen Steuerhinterziehung antritt und die marode Justizvollzugsanstalt von Gefängnisdirektor Moser (Heiner Lauterbach) wieder in die schwarzen Zahlen bringt.

Die gesetzten Lichter auf Kränen außerhalb der Fenster im ersten Stock waren Indizien dafür, dass offensichtlich auch direkt in den Gefängnisräumen gedreht wurde. In Räumen also, in denen zur Zeit des Nationalsozialismus viele Widerstandskämpfer inhaftiert und anschließend ermordet wurden. Wie beispielsweise Klaus Bonhoeffer oder Albrecht Haushofer, der noch kurz vor der Befreiung Berlins in der Nähe des Gefängnisses auf den Trümmern des Landesausstellungsparks von einem SS-Kommando getötet wurde. Sein Bruder Heinz fand in dessen Manteltasche 80 Gedichte, die er während der Haft verfasst hatte und die 1946 als Moabiter Sonette veröffentlicht wurden.

Ein Zitat aus diesen Sonetten kann man im nahegelegenen Geschichtspark schräg gegenüber des Hauptbahnhofs lesen. Hier steht – ebenfalls in großen Lettern: „Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt, ist unter Mauerwerk und Eisengittern ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern.“

Haushofer hat vor seiner Inhaftierung unter zwei Pseudonymen geschrieben: Jürgen Dax und Jörg Werdenfels. Und auch Uli Honig ist ein Pseudonym.

Das berührt und schmerzt mich: unterschiedlicher könnten die Welten dieser Pseudonyme kaum sein. An diesem Gefängnistor treffen sie aufeinander…

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