THE VOICE OF GERMANY
Ja, er wird „The Voice“ genannt. Christian Brückner. Der wohl berühmteste Synchronsprecher Deutschlands. Gehört habe ich ihn schon oft. Nicht auf Hörbüchern (da stören mich bekannte Stimmen eher als dass sie mich erfreuen), sondern in Filmen, als die deutsche Stimme von Harvey Keitel, Peter Fonda, Dennis Hopper, Gerard Depardieu, Donald Sutherland und natürlich von Robert de Niro.
Gestern habe ich ihn zum ersten Mal live gesehen. Auf der Leipziger Buchmesse. Aber nicht abends um 17:30, wo er „Große jüdische Literatur aus Litauen“ gelesen hat (Litauen ist diesjähriges Schwerpunkt-Land der Buchmesse).
Sondern mittags um 11:30, als ich gerade auf der Messe angekommen war, Jacke und Rucksack an der Garderobe abgegeben hatte und auf dem Weg durch die große Glashalle an einem Hot Dog Stand vorbeikam.
Da stand er, hatte offensichtlich weder Mantel noch Tasche (die nach Übernachtungs-Ausstattung aussah und die er beschützend zwischen seine Füße gestellt hatte) an der Garderobe abgegeben und schlang hastig und mit hochgezogenen Schultern einen Hot Dog in sich hinein.
Das hat mich natürlich sofort an The Sleepers erinnert. Ein Film, der in Manhattans Hell’s Kitchen der 60er Jahre spielt und in welchem Brückner ebenfalls de Niro (in der Rolle eines Paters) synchronisiert. In diesem Film wollen vier Jugendliche, die aus zerrütteten Familien stammen, einen Hot-Dog-Verkäufer bestehlen. Sie klauen schließlich den gesamten Wagen und stoßen ihn die U-Bahn-Treppe herunter, wodurch ein Passant lebensgefährlich verletzt wird. Trotz der Fürsprache von Pater Bobby = Robert de Niro werden die Jungen verurteilt und landen in einem Heim für jugendliche Straftäter, wo sie schwer drangsaliert werden. Erst viele Jahre später vertrauen sie sich ihm an.
Vielleicht ist es das Geheimnis von Brückner, dass er sich mit seiner jeweiligen Synchron-Rolle so stark identifiziert, dass er nun bereits seit rund 20 Jahren – der Film stammt aus dem Jahr 1996 – immer wieder Hot Dogs isst, um einerseits die Schuld seiner vier Schützlinge sozusagen symbolisch wieder gutzumachen und andererseits zu verdauen, dass er sie im Heim nicht vor ihren Qualen schützen konnte. Das würde auch den geistesabwesenden Blick und die direkt schuldbewusste Haltung Brückners erklären, in der er den Hot Dog in sich hineinstopfte.
(Mal ganz davon abgesehen, dass de Niro sicherlich auch im Film Taxi Driver mal einen Hot Dog isst, wenn er durch die Nacht fährt.)
Vielleicht aber bereitet sich Brückner innerlich bereits auf seine Abendveranstaltung vor und versetzt sich gedanklich in die berühmte Bukowski Bar in Litauens Hauptstadt Vilnius. Über diese Bar heißt es nämlich auf der Air Baltic Website: „Einer dieser angesagten Orte ist die Bukowski Bar. Ihre Inspiration bezieht sie – wie kann es anders sein – von dem Schriftsteller Charles Bukowski. Aber nicht nur Liebhaber zeitgenössischer Literatur kommen hier auf ihre Kosten. Neben einer umfassenden Getränkeauswahl bietet die Bukowski Bar auch leckere Hot Dogs.“
Und wenn ich Ihnen jetzt noch sage, dass Brückner 2003 das Album Brückner Bukowski mit Texten des US-amerikanischen Dichters und Schriftstellers veröffentlicht hat, dann habe ich Sie schon beinahe überzeugt, stimmt’s?
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