VERTRAUT WIRD FREMD
Die Berlinale ist – gefühlt – bereits eine Weile vorbei. Und doch bin ich noch voller Bilder, Worte und Themen. Mein Schwerpunkt in diesem Jahr waren Dokumentationen sowie die faszinierende Retrospektive „FUTURE IMPERFECT. SCIENCE. FICTION. FILM“. Eine Neuentdeckung war für mich beispielsweise einer der bedeutendsten Science-Fiction-Werke des New Hollywood: THX 1138 von George Lucas aus dem Jahr 1971.
Im Science-Fiction-Genre, dessen Filme häufig auf Kurzgeschichten beruhen, werden Zukunfts-Visionen (in erster Linie als Dystopien) wortgewaltig auf den Punkt gebracht. Und das so aktuelle Sujet des Fremden oder unbekannten Anderen ist allgegenwärtig.
„Die möglichen Welten auf der Erde oder im All eröffnen einen weiten Raum, um Fragen nach kollektiven Visionen und Ängsten immer wieder neu zu verhandeln. Als Spiegel gesellschaftlicher Debatten sind Science-Fiction-Filme deshalb hochaktuell“, hat es Festivaldirektor Dieter Kosslick formuliert.
All das beschäftigt mich sehr. Und verbindet sich unter anderem mit den Forderungen vieler Künstler*innen und PhilosophInnen wie Richard David Precht, der fehlende gesellschaftliche Utopien beklagt und positive Zukunftsszenarien fordert. Beispielsweise in einem Artikel in der ZEIT Ende Januar, der den Titel trägt „Daten essen Seele auf“, eine Anspielung auf Fassbinders Melodram „Angst essen Seele auf“, in welchem es – ebenfalls brandaktuell – um die Missachtung von Fremden, Vorurteile und die Mechanismen sozialer Unterdrückung geht.
Zusätzlich zu allen bildgewaltigen Eindrücken der mehr als 30 Filme, die ich gesehen habe, hat der Anblick dieses Mannes bleibenden Eindruck hinterlassen. Während sich alle Zuschauer*innen im (riesengroßen) Kino International im mittleren Bestuhlungsbereich einen Platz gesucht hatten, saß er als einziger Mensch im rechten Bereich. Und hat – ebenfalls als Einziger – gelesen und zwar in aller Seelenruhe. Dies wirkte nicht nur befremdlich, sondern wie die Personifikation eines Außenseiters.
So schnell kann etwas Vertrautes plötzlich fremd wirken.
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