28. Februar 2015

WOMANLY-MANLY OR MAN-WOMANLY

In diesen Tagen lese ich intensiv Alice Munros Short Stories, die im Zentrum meines aktuellen Buchclubs stehen. Gerade habe ich im Licht der untergehenden Sonne ’Das Büro’ gelesen. In dieser Erzählung geht es um eine Frau, die sich ein Zimmer mietet, um dort in Ruhe schreiben zu können. Ihr fällt es schwer, sich diesen Wunsch selbstbewusst zu erlauben und ihn nicht als unzulässigen Luxus abzutun.

Und noch schwerer fällt es ihr, die Worte auszusprechen „Ich bin Schriftstellerin.“ Denn: „Das klingt nicht richtig. Zu anmaßend; unecht oder zumindest wenig überzeugend. Nächster Versuch. Ich schreibe. Ist das besser? Ich versuche zu schreiben. Das macht es nur schlimmer. Geheuchelte Bescheidenheit. Also wie nun?“

Diese Geschichte steht meines Erachtens in enger Verbindung zu Viriginia Woolf’s Essay A Room of One’s Own, den diese 1929 schrieb. Woolf war der Überzeugung, dass zwei Bedingungen erfüllt sein müssen, damit auch Frauen  so genannte ’große Literatur’ produzieren konnten: „Fünfhundert (Pfund) im Jahr und ein eigenes Zimmer.“

Aufgrund ihres Arbeitsbereichs im Haus hatten Frauen bis spät ins 19. Jahrhundert hinein fast keine Privatsphäre. Wenigen sei es vergönnt gewesen, so Woolf, täglich einige Stunden ungestört Zeit zu verbringen, um zu schreiben. Das Haus galt über Jahrtausende, so beispielsweise in der griechischen Antike, als der Raum der Frau, während die Welt außerhalb des Hauses den Männern gehörte. Doch selbst in diesem Raum, in dem die Frau über Einfluss verfügte, habe sie keinen Anspruch auf ein eigenes Zimmer gehabt.

Die Metapher des eigenen Zimmers hat mehrere Dimensionen. Unter anderem ist damit die eigene Seele gemeint. Und Woolfs Überzeugung, dass nur die androgyne Seele mit männlichen und weiblichen Anteilen so genanntes literarisches Genie ermögliche: “It is fatal to be a man or woman pure and simple; one must be woman-manly or man-womanly.“

Ein Zimmer für sich allein, das in England bereits nach Erscheinen große Aufmerksamkeit erregt hat, ist erst 50 Jahre später erstmals ins Deutsche übersetzt worden. Ein zweites Mal dann im Jahr 2001, und zwar von Heidi Zernig. Und wissen Sie, welches Werk Heidi Zernig ebenfalls übersetzt hat? Genau: das von Alice Munro.

Ich überlege mir, wie das Arbeitszimmer von Heidi Zernig wohl ausgesehen haben mag, in welchem sie Woolf und Munro übersetzt hat.

Und ich überlege mir, wie das wohl bei Ihnen ist, falls Sie schreiben: haben Sie ein Zimmer für sich allein? Eines, in das Sie sich zurückziehen können: ohne eine Spur schlechten Gewissens und ohne, dass Sie gestört werden?

Das wünsche ich Ihnen.

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