13. November 2011

ZORNIGE ALTE FRAUEN

In meinem Blogeintrag vom 30. Oktober stelle ich mir vor, wie es wäre, wenn eine Autorin sich den Namen „alte Frau vom Schreiben besessen“ geben würde – inspiriert vom japanischen Künstler Hokusai.

Eine Blog-Leserin, die ebenfalls schreibt, lässt mich an ihren Gedanken teilhaben und die möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Sie schreibt:

„Eine alte Frau vom Schreiben besessen? Sie zu sein, fände ich wunderbar. Als Name für eine Autorin? Das würde ich keiner heutzutage empfehlen. Ich habe das Gefühl, Bücher von einem Autor mit dem Namen Alter Mann vom Schreiben besessen würden Leser kaufen, aber von einer alten Frau? Dieser Begriff hat doch immer noch einen negativen Beigeschmack. Vielleicht würden das Buch ältere Frauen aus dem Regal ziehen, um zu erfahren, wer da so mutig ist, sich diesen Namen zu geben. Aber wie viele Männer würde so eine Autorin interessieren? Bin ich zu pessimistisch?“

Vermutlich leider nicht…

Was assoziieren Sie sonst noch mit dem Bild alter schreibender Männer und Frauen? Vielleicht die „zornigen alten Männer“ der 70er Jahre, unter anderem Heinrich Böll und Jean Améry, die zum Protest gegen geistige Freiheitsberaubung anstiften wollten? Oder alte Männer wie Marcel Reich-Ranicki, die ganz selbstverständlich einen Kanon der wichtigsten 20 deutschen Romane zusammenstellen, in welchem dann 19 Männer und 1 Frau versammelt sind?

Ruth Klüger hat in einem berühmten Essay nachgezeichnet, warum Frauen anders lesen als Männer – und mit großer Wahrscheinlichkeit einen anderen Kanon vorschlagen würden. Sie hat kritisiert, dass zum Beispiel Marcel Reich-Ranicki oder George Tabori in den Medien von “den schönsten Liebesgeschichten der Weltliteratur” sprechen, aber Texte nennen, in denen die Frauen von ihren Liebhabern erdrosselt, erstochen oder vergiftet werden.

Heute also weitere Fragen in diesem Kontext: Wäre es denkbar, dass im bewundernden Sinn von „zornigen alten Frauen“ die Rede ist?

Und ist es vorstellbar, dass Frauen großartige Liebesgeschichten schreiben, in denen Männer von ihren Liebhaberinnen erdrosselt, erstochen oder vergiftet werden?

Damit meine ich aber keine harmlosen pseudo-feministischen Krimis als belächelte Nischenliteratur, sondern Liebesgeschichten von Format, die in den nächsten literarischen Kanon aufgenommen werden könnten – und zwar unabhängig davon, ob dieser von einem Mann oder einer Frau zusammengestellt wird.

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